Zweihundertfünfzigjähriges Bestehen der Seifenfabrik Carl Wunderlich am 6. Juli 1922
Von Dr. jur. Carl Wunderlich
Ein Stück Leipziger Geschichte
Nur
wenige Geschäfte wird es geben, die ein Vierteljahrtausend in ein und derselben
Stadt und in ein und demselben Grundstück ihre Lebensfähigkeit beweisen. Im
Jahre 1672, am 6. Juli, begann der Seifensieder Jacob Schönherr den
Betrieb seines Seifensieder-Handwerks in der Ritterstraße, im Hause, das jetzt
die Nummer 21 führt. Nach seinem Tod, im Jahre 1688 übernahm seine Witwe Anna Magdalene
geb. Jahn das Geschäft und vermählte sich bald darauf mit dem Seifensieder
Christian Hunger, der im Jahre 1711 starb und seinem Sohn Christian Jacob Hunger
das Geschäft hinterließ. Nach dessen Tode 1756 führte seine Witwe Johanna
Regina Hunger das Geschäft bis 1764 weiter, um es dann ihrer einzigen Tochter Eva
Maria zu hinterlassen, die mit Georg Jakob Peilicke verheiratet war. Deren
Tochter Eva-Maria heiratete 1772 den Bürger und Seifensiedemeister Johann Carl
Wunderlich im Gewerbe, der eine führende Rolle spielte. Auch sein Sohn
Johann Carl Wunderlich, der 1805 das Geschäft übernahm, machte sich als Innungsobermeister
und Stadtverordneter verdient; er begründete 1829 mit noch anderen den noch
heute bestehende Bürgerverein.
Sein sich über fünf Jahrzehnte erstreckendes, mit großer Sorgfalt geführtes Tagebuch gibt hochinteressanten Einblick in die Sorgen und Freuden seiner Zeit. Ihm folgte 1839 sein Sohn Carl Julius Wunderlich der 1854 einer Typhuserkrankung erlag. Seine Witwe Emilie geb. Fischer legte am 6. Juli 1872 das Geschäft in die Hände ihrer Söhne Carl Gustav Wunderlich und Carl Rudolf Wunderlich. Ein Sohn des Letzteren ist der jetzige Inhaber Rudolf Wunderlich (1. Okt. 1908 - 1. Okt. 1949).
Die Chronik des Grundstücks lässt sich in den Ratsbüchern bis zum Jahre 1550 zurück verfolgen in dem es von Bürger Caspar Weber erbaut wurde. Von dessen Erben kaufte es der Bürger und Schneider Dietrich Weber für 900 meißnische Gulden und von dessen Erben der kaiserliche Notar Moritz Pörner 1621. Es folgte 1672 Jacob Kürschten und dessen Frau Anna Magdalena heiratete zum zweiten Mal den Seifensieder Jakob Schönherr.
1805 übernahm Johann Carl
Wunderlich das Geschäft und ließ es abreißen, um einen neuen Grundstein zu legen.
Er war in dem Zimmer links neben der Haustür wohnen
geblieben, das zuletzt weggerissen und neugebaut werden sollte. Auf die Kunde
von dem unglücklichen Ausgang der Schlacht bei Jena[1] hat er diesen
Teil nicht mehr wegreisen, sondern sofort hochbauen lassen, so dass von dem
alten Gebäude noch ein Stück erhalten geblieben ist. Ebenso unterblieb der
Neubau der Hintergebäude, die auch jetzt noch die winklige Bauart der früheren
Zeit aufweisen. 1807 wurde das Haus fertig.
Die bis 1672 zurückreichenden Aufzeichnungen finden ihre Bestätigung in den Akten des Rates im städtischen Ratsarchiv und geben ein interessantes Bild der Entwicklung der Seifensiederei, vom Handwerksbetrieb, der mühseligen Herstellung der Seife aus selbstausgeschmolzenem Talg und selbst hergestellter Lauge aus Holzasche, bis zu dem mit allen Errungenschaften der modernen Chemie arbeitenden Fabrikbetriebe.
Eine "Alte Kernseife" nach dem alten Verfahren wird auch heute noch als eine beliebte Spezialität von der Firma hergestellt, seit etwa 20 Jahren erfreut sich ihre Olivenölkernseife und ihre deutsche Ölseife steigender Beliebtheit. Daneben werden Industrieseifen fabriziert, deren Absatz sich vor dem Kriege bis nach China und Japan erstreckte, die, vor allem aber in den Kreisen der Großfärbereien, sowie Tuch- und Lederfabriken und viele anderen Industrien seit langen Jahren geschätzt sind. Auch eine ganze Reihe Geschäftsverbindungen dauert bereits mehrere Generationen.
🔗Zeitungsartikel, Leipziger Neueste Nachrichten vom 2.Juli 1922
Nachschrift am 30. Januar 1951.
Am 4. Dezember 1943 wurde die Seifenfabrik Carl Wunderlich in der Ritterstraße 21 das Opfer eines Bombenangriffs. Es brannte alles, auch die Wohnung, bis auf die Grundmauern nieder und nur ein riesiger Schutthaufen blieb übrig. Der Inhaber der Firma Rudolf Wunderlich sen., der das Geschäft als Einzelhandelsgeschäft wieder aufgebaut und in der Breitestraße weitergeführt hatte, starb am 19. August 1949 im Alter von 72 Jahren. Die Firma bestand in diesem Jahr 277 Jahre und war davon 41 Jahre im Besitz des letzten Inhabers gewesen. Der Nachfolger der Firma, Rudolf Wunderlich jun. war am 14. Dezember 1944 im Alter von 28 Jahren in der Nähe von Budapest gefallen. Aus diesem Grunde wurde das Geschäft am 30. September 1949 aufgelöst. Damit fand das seit acht Generationen in Erbfolge bestehende Seifensieder-Unternehmen seinen endgültigen Abschluss.
Am 25. Januar 1951 wurden bei Enttrümmerungsarbeiten auf dem Grundstück Ritterstraße 21 der Firma Carl Wunderlich zwei Geldschränke geborgen. Im ersteren waren Bücher und Papiere total verkohlt, während im anderen alles gut erhalten war. Leider hatte von der Familie niemand Kenntnis von der Öffnung der Schränke und so wurde alles und damit die familiengeschichtlich wertvollen alten Dokumente mitsamt dem Schutt weggefahren. Lediglich sehr gut erhaltene Photographien konnten gerettet werden, die Einblick in die frühere Fabrik geben.